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Wie ein altes «Kässeli» die Geschichte des Kinderspitals St. Gallen erzählt
Manchmal tauchen Erinnerungen an vergangene Zeiten an den unerwartetsten Orten auf. So erging es Guido Bucher, als er vor einigen Jahren während eines Rundgangs durch das Spital zufällig eine verstaubte Spardose entdeckte. Sie stand vergessen in einem Abstellraum unter der Treppe im zweiten Untergeschoss, bis er sie entdeckte und in sein Büro holte. Seither hat das flaschenförmige «Kässeli» mit der kunstvollen Aufschrift „Verein für Säuglingsfürsorge für die Kinder in Säuglingsheim und Schulstation St. Gallen“ einen festen Platz in Buchers Büro – und in der Geschichte des Fundraisings.
„Für mich hat dieses Kässeli einen unschätzbaren Symbolwert“, erklärt Guido Bucher, „es steht für die lange Tradition der finanziellen Unterstützung, auf die die Kindermedizin schon immer angewiesen war.“ Seit den Ursprüngen der Säuglingspflege in St. Gallen haben Spenden eine zentrale Rolle gespielt – damals wie heute. Das Kässeli schlage daher sinnbildlich eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft: „Die Baukosten für unser Kinderspital, das 1966 eröffnet wurde, wurden damals zur Hälfte durch Spenden gedeckt.“ Eine Denkschrift aus dem Jahr 1954 dokumentiert die Bausumme von 1’575’000 Franken für die dringende Notwendigkeit eines Neubaus für das Ostschweizer Säuglingsspital. Mit der heutigen Kostensituation für den Neubau des OKS auf dem KSSG-Campus mag dies nicht vergleichbar sein, aber eines ist dennoch klar: „Ohne Fundraising geht es auch heute nicht.“
Neben den Grossprojekten zur Finanzierung von Infrastruktur und Forschung trägt das Fundraising auch zum alltäglichen Betrieb bei. So ermöglicht es etwa die Finanzierung der Sitzwache, ein Dienst, der weder tarifiert noch verrechnet wird, jedoch enorm geschätzt wird. „Es entlastet das Pflegepersonal und gibt den Eltern Sicherheit, während es gleichzeitig zur Beruhigung der Kinder beiträgt“, sagt Bucher.
Besondere Ehrfurcht empfindet Bucher vor den Gründerinnen des St. Galler Kinderspitals, allen voran Dr. Frida Imboden-Kaiser, einer Pionierin der Frauen- und Kinderheilkunde. Auf ihre Initiative hin schlossen sich 1908 einige junge Frauen aus Bürgerfamilien zusammen, um ein dringend benötigtes Säuglingsheim zu gründen. Nur ein Jahr später öffnete das Heim seine Türen, und 1910 wurde der Verein für Säuglingsfürsorge ins Leben gerufen – sowohl zur finanziellen als auch zur moralischen Unterstützung der Institution.
Für Guido Bucher ist das Kässeli weit mehr als ein altes Stück – es ist ein greifbares Zeitzeugnis einer langen Geschichte der Solidarität und Fürsorge, die bis in die Gegenwart reicht.
Text: Katja Hongler